„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“, lautet ein berühmtes Zitat des Philosophen Theodor Adorno. Aber gibt uns nicht gerade die Betrachtung von Kunst manchmal das erhebende Gefühl tiefer und damit wahrer Erkenntnisse?
Schon seit der Antike hat die Kunst ihren Platz innerhalb der Philosophie, nämlich in der Disziplin der Ästhetik, der „Lehre vom Schönen“. Bedeutende deutsche Denker wie Kant und Hegel widmen ihr in ihren jeweiligen philosophischen Systemen eine vergleichbare Aufmerksamkeit wie der Ethik, der Logik oder der Erkenntnistheorie.
Kunst als Vorstufe zur Erkenntnis?
Bei Hegel beispielsweise wird die Kunst als eine Art „Vorstufe“ zur begrifflich-philosophischen Wahrheitserkenntnis verstanden. Im 20. Jahrhundert erfährt sie durch Theodor W. Adorno, der an Hegel geschult ist, sich aber in kritischer Distanz zu dessen Philosophie positioniert, eine entscheidende Aufwertung: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“
Die Verwandtschaft von Kunst und Philosophie
Meint Adorno damit, dass Kunst und Wahrheit voneinander entkoppelt sind? Ganz im Gegenteil: Adorno besteht auf einer Verwandtschaft dieser beiden Kategorien: Zwar gibt Kunst nicht vor, Wahrheit zu sein, sie hat aber eine privilegierte Stellung, auf eine solche zu verweisen. Gerade im Verhältnis zur Philosophie hat sie den Vorteil, dass sie nicht auf die Arbeit mit Begriffen angewiesen ist, sich nicht sprachlich artikulieren muss.
Der philosophischen Sprache hingegen entgeht notwendigerweise etwas, das sich nicht fassen lässt: Es bleibt ein Unsagbares, dem man sich über Kunst annähern kann.
„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“
Theodor W. Adorno
Die Kunst und der Möglichkeitssinn
Begriffe, zum Beispiel, mögen ein gutes Mittel sein, um uns verständlich zu machen, wie die Dinge sind. Wie sie aber sein könnten, das kann mit begrifflich-deskriptiven Mitteln nur ungenügend dargestellt werden. Zur Wahrheit, wie Theodor Adorno sie versteht, gehört aber nicht nur eine adäquate Annährung an die Wirklichkeit, sondern immer auch die Überzeugung, dass diese anders sein könnte. Kunst, in der es um mehr geht als um Unterhaltung und Zerstreuung, kann solche Erfahrungen bieten. So findet sich ein Gespür für dieses Andere beispielsweise auch eher in der Literatur als in der Philosophie: „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat“, schreibt der große österreichische Schriftsteller Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, „dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann.“LESETIPP
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Kunst als Ahnung von Wahrheit
Wider die verwaltete Welt
Die Möglichkeit einer solchen Erfahrung ist allerdings keineswegs garantiert, ist also bei einem Konzert oder Museumsbesuch nicht im Preis des Tickets inbegriffen. Für die ästhetische Erfahrung braucht es Offenheit und Resonanzfähigkeit der Rezipient:innen. Und auch auf Seiten der Kunstproduktion lauern Gefahren. Der vom Markt aufgestellte Imperativ, sich zu verkaufen, zur Ware zu werden, bedroht heute vielleicht mehr denn je das „Recht der Andersheit“ der Kunst. Ein Bereich, der sich über die Gesetzmäßigkeiten unserer „verwalteten Welt“ hinwegsetzt, ist, so Adorno, eine Voraussetzung aller gelungenen Kunst. Einen solchen Raum einzurichten und zu schützen, ist die Voraussetzung dafür, ästhetische Erfahrung zu bewahren.
Autorin: Stephanie Graf, Co-Autor: Julian Moeller
Wissenswertes:
- Theodor W. Adorno (1903–1969) floh vor dem Nationalsozialismus ins US-amerikanische Exil, avancierte aber nach seiner Rückkehr nach Deutschland zur einem der einflussreichsten Kritiker der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Seine Analyse des Kapitalismus und die Hoffnung auf eine von Herrschaft befreite Gesellschaft prägten vor allem die Generation der um 1968 Geborenen.