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ALBERTINA: „Dürer, Munch, Miró – The Great Masters of Printmaking”

Ludwig Heinrich Jungnickel Drei blaue Aras, 1909
Ludwig Heinrich Jungnickel - Drei blaue Aras, 1909

Der Titel dieser großartigen Überblicksschau zur Druckgrafik ist irreführend – geht es doch um weit mehr als die drei Big Names Dürer, Munch und Miró: Wer durch die Hallen im 1. Stock der ALBERTINA flaniert, durchlebt quasi live die 600-jährige Evolution der Druckgrafik. Und das macht richtig Spaß.

Als vor rund 20.000 Jahren Steinzeitmenschen in der französischen Pech-Merle-Grotte ihre Hände an die Wand hielten und Farbe dagegen sprühten, entstanden die ersten Druckgrafiken der Menschheit. Frühe Siebdrucke, wenn man so will. Mittlerweile weiß man, dass die Künstler vermutlich Künstlerinnen waren – Forscher:innen haben das aus der Form ihrer Finger geschlossen. Umso schöner, dass die Ausstellung „The Great Masters of Printmaking“, die mit drei männlichen Namen – „Dürer, Munch, Miró“ – wirbt, auch Werke großer weiblicher Grafikkünstlerinnen zeigt: Käthe Kollwitz, Florentina Pakosta und Paula Rego, um nur einige zu nennen.

Druckgrafik: Von den Anfängen bis heute

Doch das nur als Fußnote vorneweg. Denn laut der klassischen Kunstgeschichtsschreibung währt die Geschichte der Druckgrafik natürlich nicht 20.000 sondern „nur“ rund 600 Jahre und beginnt mit dem Holzschnitt: Gleich in Saal 1 der Ausstellung schöpft die ALBERTINA hier aus dem Vollen und zeigt, was sie kann. Dürers Rhinozeros als schwarz-weißer, aber auch als farbiger Druck. Wie der möglich war, erfährt man aus den erklärenden Wandtexten: Clair-obscur lautet das Stichwort. Zunächst wurden die schwarzen Linien gedruckt. Dann erst in einem zweiten Schritt die Farben. Das Rhinozeros von 1515 sehen wir entsprechend auch in etwas unnatürlich olivgrünem Hautton. Doch natürlich wirkt an dieser minutiösen Abbildung ohnehin wenig, schließlich hatte der Künstler nie ein Rhinozeros gesehen.

Albrecht Dürer Das Rhinozerus, 1515 Holzschnitt und Typendruck ALBERTINA, Wien
Albrecht Dürer - Das Rhinozerus, 1515

Bleibt die Frage, ob Dürer die vielen feinen Linien des Brustpanzers selbst in den hölzernen Druckstock geschnitzt hat? Nein, wie Christoph Metzger, Kurator der Ausstellung, beim Presserundgang erklärt. Selbst Druck-Spezialisten wie Dürer beschäftigten sogenannte Formschneider, die die eigenen Motive auf den Druckstock übertrugen. Je präziser diese arbeiteten, desto feiner die Qualität des Drucks. Um den Entstehungsvorgang transparent zu machen, stellt die Ausstellung „Great Masters of Printmaking“ oft mehrere Versionen ein und desselben Werks nebeneinander. So blickt man über das Motiv hinaus und erkennt den Prozess.

Bruegels einzige Radierung

Von Dürer geht es weiter zu den Kupferstichen des Flamen Hendrick Goltzius, dem es in der Darstellung seiner Heldenfiguren vor allem das männliche Muskelspiel angetan hatte. Gezeigt wird aber auch die einzige Radierung Pieter Bruegels des Älteren.

Einen weiteren Höhepunkt bilden die Radierungen von Rembrandt van Rijn, der auch in dieser Technik dramatische Lichtstimmungen zu erzeugen wusste. Mit dem Radierwerk Francisco Goyas schließt das Kapitel der alten Meister ab: Wobei Goya hier nicht nur die Moderne einläutet, sondern einen Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen zu liefern scheint. Ein Motiv seiner Serie Los Desastres de la Guerra, „Die Katastrophen des Krieges“, zeigt verstümmelte Körper, die in Bäumen aufgespießt sind. Darunter der ironische Titel: „Große Heldentat! Mit Toten!“ Eine Kaltnadelradierung aus den Jahren 1810–1813, die – leider – auch ein Sujet aus dem Ukraine-Krieg 2023 sein könnte.

Aus eins mach viele – die Geburt des Drucks

Auf dem Weg in die Moderne

Ebenso modern, da wie dystopische Filmkulissen, wirken die Radierungen des Giovanni Battista Piranesi: Zwei von ihnen zeigt die Ausstellung, und man möchte förmlich hineinkriechen in diese in die Tiefe verschachtelten Räume.

Die klassischen Architekturansichten, berühmte Gebäude, kleinformatige Stadtpanoramen, die man so oft als Kupferstiche oder Album-Blätter in Antiquariaten findet, sucht man in dieser Ausstellung dagegen vergeblich. Und das ist gut so. Schließlich gilt die Druckgrafik als Medium vielen als angestaubt. Das mag auch an den „Kupferstich“-Tapeten und Reproduktionen von Stadtansichten liegen, die sich Bildungsspießer der 1960er- bis 1980er-Jahre gern an die Wand hängten: die beigebraune Canaletto-Druck-Repro gleich neben der Zinnteller-Sammlung – sie wäre die Antithese zu dieser Schau.

Henri de Toulouse-Lautrec La Clownesse au Moulin Rouge, 1897 Farblithographie; Kreide, Tusche mit Pinsel und Gespritzt ALBERTINA, Wien
Henri de Toulouse-Lautrec - La Clownesse au Moulin Rouge, 1897

Die Druckgrafik vom Mief der Spießigkeit zu befreien, hat Kurator Christoph Metzger jedenfalls geschafft. Zum Beweis hat er Goyas Antikriegszyklus ausgewählt und Holzschnitte von Käthe Kollwitz, die die sozialen Missstände in Berlins Hinterhöfen anprangern.

Max Klingers Grafikzyklus Ein Leben, der die Abwärtsspirale einer Prostituierten bis zum Suizid im Wasser zeigt, oder Edvard Munchs Madonna (1895/1902), eine Farblithografie, die das melancholische Frauengesicht inmitten eines Embryos und einer Reihe stilisierter Spermien rahmt. Auch Männer machen feministische Kunst. Viele der gezeigten Werke galten zu ihrer Zeit als zu wild, zu dreist – oder als zu unanständig, so wie die frivolen Plakate des Henri Toulouse-Lautrec, dessen Gebrauchsdrucke hier ebenfalls zu sehen sind. Die Druckgrafik? Kein Staubfänger, sondern ein mutiger Schrittmacher auf dem Weg in die Moderne.

Must-see am Ende der Ära Klaus Albrecht Schröder

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