JEREMIAS ALTMANN, *1989 in Wien, absolvierte die Kunstschule Wien und studierte danach Grafik und Druck an der Universität für angewandte Kunst in Wien; 2019 Ausstellungsprojekt „grey time“ im Kunsthistorischen Museum Wien (mit Andreas Tanzer); letzte Personale im Wiener Bildraum Studio; Mitgründer der Wiener Werkstatt Graphikkinder; 2022 Stipendium als Artist in Residence im Dumfries House, Schottland.
Im Atelier von Jeremias Altmann stehen ein alter Koffer und eine Holzbox. Darin lagern rostige Zahnräder, Messuhren, Sicherungen und viele andere technische Kleinteile. Er nennt sie seine „Souvenirkisten“: Der Künstler hat diese kleinteiligen Erinnerungsstücke mitgenommen, als er stillgelegte Industriegelände erkundete. Verlassene Fabriken und Kraftwerke mit einer dicken Staubschicht ziehen Altmann magisch an. Machines nennt er die Serie von Grafiken, in der er seine Eindrücke von diesen „lost places“ verdichtete und der auch sein Blatt für die ARTcube21 Edition entstammt.
Faible für Mechanik und Industrie
Schon als Bub beobachtete Altmann seinen Großvater begeistert, wenn dieser einen Wecker oder eine andere Apparatur zerlegte. „Mich hat die Mechanik hinter den Kulissen fasziniert“, erzählt der Künstler im grünen Arbeitsoverall. Mit einem Jugendfreund, der später Maschinenbauer wurde, durchstreifte er früher das alte Zementwerk in Kaltenleutgeben. Wenn Altmann von seinen späteren Reisen zu „lost places“ wie einem Braunkohlekraftwerk in Deutschland oder einer Autofabrik in Italien erzählt, leuchten seine Augen. Diese „schier endlosen“ Industrieruinen erschienen ihm wie aus der Zeit gefallen. In ihrer Größe strahlten sie sogar eine Art von Erhabenheit aus, wie man sie sonst in der Natur verspürt.
"Mich interessiert die Mechanik hinter den Kulissen."
Jeremias Altmann
Vorbild: Kupferstecher Piranesi
Als eine kunstgeschichtliche Inspirationsquelle dienten Altmann die Kupferstiche von Giambattista Piranesi, der im Barock Ruinen und Architekturen schuf und sich dabei teils nur von Bühnenbildern oder der eigenen Fantasie inspirieren ließ. Auch Altmann zieht es vor, nicht nach Fotos zu arbeiten, vielmehr zeichnet er die maroden Werkshallen, Turbinen oder Dampfkessel aus dem Gedächtnis. Das Erlebnis von Ruß, Rost, Staub und den speziellen Lichtverhältnissen empfindet der Künstler nach. Er verdichtet und verschachtelt dabei Erinnerungsfragmente, mal expressiv mit Pinsel und Tusche, mal akribisch mit der Radiernadel auf der Kupferplatte. Altmann umschreibt seine Bilder als „atmosphärische Behauptungen“. Eine andere Serie entstand im Wiener Kunsthistorischen Museum. Gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Andreas Tanzer malte Altmann dort Ölbilder. Ausgangspunkt: „ruinöse“ Versatzstücke aus den Hintergründen der Werke alter Meister, etwa ein Steinhaufen bei Veronese oder ein alter Baumstumpf bei Tizian.
Duft der Druckwerkstatt
Als ein Schlüsselerlebnis schildert Altmann seinen allerersten Besuch in einer Druckwerkstatt. „Die alten Pressen, Platten, Säurebecken und der Geruch der Asphaltlacke haben mich in ihren Bann gezogen“, erinnert sich der spätere Student des Grafikers Georg Lebzelter (siehe Porträt auf ARTcube21) an der Kunstschule Wien. Die Radierung führte den Studenten zur freien Handzeichnung. Mittlerweile hat er mit Kolleg:innen die Werkstatt Graphikkinder gegründet, deren Mitgliedern die Werkzeuge für alle Drucktechniken jederzeit zur Verfügung stehen. Ein kreatives Kapitel aus der eigenen Biografie, das der Künstler selbst längst vergessen hatte, fiel ihm 2009 in die Hände. Bei einem Umzug tauchte hinter einer Kommode eine Mappe mit Zeichnungen auf, die er als Kind aufs Papier gebracht hatte.
Piombino von Jeremias Altmann
Gezeigt wird das Innere einer Industriehalle; aus dem Dunkel zeichnen sich die Silhouetten von Dachbalken, Bodenmarkierungen und einem zylindrischen Druckkessel ab. Alles ruht, ein unerwarteter Anblick von Stillstand, der dem Blatt eine mystische Note verleiht. Umso mehr, da in den Arbeiten von Jeremias Altmann der Mensch als Schöpfer dieser einstigen Hochleistungsmaschinen obsolet ist.
Silvia Müllegger
EDITION ARTcube21
Kinderzeichnungen mit Kopffüßlern
In seiner Serie Young Prophecies greift Altmann diese frühen Kopffüßler, Tierfiguren und Kritzeleien wieder auf. Er versetzt sie in eine neue, oft semiabstrakte Umgebung, dabei gewinnen ihre Formen an Plastizität. „Diese Bildwelt ist so ausdrucksstark – was mich damals wohl motiviert hat?“, fragt sich der Künstler heute. Die Formen von Kinderhand verarbeitet er in unterschiedlichen Medien weiter, von der Zeichnung über die Radierung zu Acryl auf Leinwand bis hin zu Videofilmen.Kleinskulpturen und Dioramen
Neuerdings kreiert Altmann sogar Kleinskulpturen, die die alte Welt der Industrie en miniature aufleben lassen. Demnächst möchte er diese Objekte zu Dioramen, also Schaukästen, ausbauen – auch ein Medium, bei dem historisch viel mitschwingt. In einer Zeit, in der Technik zugleich immer präsenter, aber auch immer unsichtbarer wird, feiert der Künstler erst recht deren visuellen Reichtum. Zum Glück sind seine Fundkisten dafür bereits gut gefüllt.
Von Groß- und Kleinformaten
- Jeremias Altmann arbeitet auch großformatig an Hauswänden: Graffiti, Street-Art und Wall-Painting gehören zu seinen Schwerpunkten. Zuletzt schuf er ein Gemeinschaftswerk mit Kollegen Norbert Wabnig, der im Frühjahr 2023 ebenfalls mit einer Edition auf ARTcube21 vorgestellt wird.
- Besonders kleinformatig sind dagegen Altmanns Ohrgemälde in Öl: Seine Ear Collection findet sich an den Wänden – und sogar der Decke – seines Ateliers.
Einblicke in das Atelier von Jeremias Altmann
Wussten Sie, dass...
- … Jeremias Altmann auch Videos dreht? Der vierminütige Film „Machines“ (2015) kann etwa über den Wiener Avantgarde-Filmverleih Sixpackfilm für Vorführungen gebucht werden und wurde auf einer Reihe internationaler Festivals gezeigt.
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