BIRGIT SCHWEIGER * 1970 in Ried im Innkreis, studierte an der Kunstuniversität Linz bei Dietmar Brehm, Xenia Hausner und Anton Petz. 2019 nahm sie zudem ein Philosophiestudium in Linz auf. Neben Zeichnungen, Drucken und Gemälden arbeitet Schweiger in Performances auch mit dem eigenen Körper. Oft entwickelt sie dabei Varianten ein und desselben Motivs in verschiedenen Techniken. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Birgit Schweiger lebt und arbeitet in Neulichtenberg bei Linz.
Es ist Hochsommer, und Birgit Schweigers Garten steht in vollem Saft: An einem ausladenden Baum hängen samtige Kiwis, eine Amsel zwitschert, Insekten brummen. Um zu Schweigers rückseitig gelegenem Atelier zu gelangen, geht man durch die Wiese mit Weitblick über die Felder. Die Natur, sagt Schweiger, habe sie immer schon inspiriert. Sie selbst begreife sich als Teil von ihr.
Dystopische Ölbilder
Diese Haltung spürt man in ihren Bildern. Drei davon zieht Schweiger aus dem Regal: Ihre Titel: Verwirkung, Verwunderung und Der Hund liegt im Detail. Diese drei großformatigen Ölbilder sind Unikate, die – getrennt oder gemeinsam – auf ARTcube21 zu erwerben sind. Zu sehen sind darauf Menschen in einer unwirtlichen Landschaft. Gebeugte Körper vor einer kargen Felsformation. Während im Hintergrund ein türkisblauer Himmel noch „heile Natur“ suggeriert, droht im Vordergrund ein Abgrund aus abstrakten Linien. Natur versus menschengemachte Struktur. Von der ersten noch nicht ganz abgenabelt, neigen sich die Figuren in Richtung der zweiten, neuen Dimension: „Darum geht es in all meinen Arbeiten, dass alles im Grunde mit allem verwoben ist“, erzählt Birgit Schweiger und deutet auf jene Stelle, wo der Körper einer Frau mit einem Felsblock verwachsen ist.
Mensch und Anthropozän
Die drei Bilder sind Teil einer umfangreicheren Serie, die aus Schweigers Beschäftigung mit dem Konzept des Anthropozän entstanden ist, also jenem Erdzeitalter, in dem der Mensch die Erde prägt und verändert wie nie zuvor. Besonders beeinflusst hat sie dabei eine amerikanische Wissenschaftshistorikerin und Feministin: „In meinen Bildern will ich das anthropozentrische Weltbild auflösen, indem ich menschliche Körper in Auflösung und Verschmelzung mit ,dem Anderen‘ zeige. Dazu hat mich Donna Haraway inspiriert, die fordert, dass wir uns mit allen ,Crittern‘, also Lebewesen, auf der Erde verbrüdern und verschwestern sollen.“
Edition von Birgit Schweiger
EDITION ARTcube21
Philosophiestudium als Denkanstoß
Schweiger erklärt, dass für sie die „rote Linie“ menschlicher Verantwortungslosigkeit längst überschritten sei, und weist dabei auf eine feine rote Lacklinie, die auf ihrem Bild Verwunderung die Naturdarstellung von der menschengemachten abstrakten Landschaft trennt. Die abstrakte Zone besteht aus einem Gitternetzwerk: „Diese Matrix ist für mich die Substanz, aus der sich etwas entwickeln kann“, sagt Schweiger und erwähnt Aristoteles sowie die platonische Ideenwelt. Man spürt, wie stark ihr Philosophiestudium und die Beschäftigung mit Fragen der Ethik, Verantwortung und Moral ihre Arbeit prägen.
„Strengere, nicht unbedingt fröhliche Gedanken“
In einer früheren, eher lustbetonten Werkphase bis 2017 malte und zeichnete Schweiger gerne Gruppenporträts, locker angeordnete Menschengruppen, die während der Linzer „Bubbledays“, einer jährlichen Sommerparty, am Donauufer stehen und feiern. Warme Farben wie Rot und Gelb, aber auch das Grün der Wiesen dominierten. Auf diese Werkphase werde sie bis heute angesprochen, sagt die Künstlerin. Dabei habe sie nach einem Fahrradunfall 2017 eine Wendung vollzogen. Ihre Bilder seien nachdenklicher geworden. Was sich auch in der Farbwahl spiegele. Blautöne, Grautöne. Zugrunde lägen nun „strengere Gedanken“, doch so sei eben die Weltlage.
„Meine Werke sind wie ein Tagebuch, das meine Gedanken auffängt.“
Birgit Schweiger
„Arbeit direkt auf die Leinwand“
Wenn sie ein Bild entwerfe, sagt Schweiger, dann fertige sie selten Skizzen an: „Ich arbeite direkt auf die Leinwand, habe nur die Position einer Figur im Kopf, beginne mit einem groben, relativ wässrigen Pinsel, dann komponiere ich dazu. Meine Werke sind wie ein Tagebuch, das meine Gedanken auffängt.“
Anders sei das mit Drucken. Hier brauche es sehr wohl Vorarbeit – vor allem bei aufwendig geschnitzten Holzschnitten wie dem der ARTcube21 Kunstdruck-Edition. Bevor die Künstlerin einen Druckstock bearbeitet, fertigt sie eine Skizze an, die sie auf das Holz – gerne butterweiche Linde wie im Fall der ARTcube21 Kunstdruck-Edition oder etwas härtere Birne – überträgt. Im Fall der Arbeit Säulenarbeit handelte es sich um ein Porträt gewordenes Standbild aus einer Videoperformance, die Schweiger im Aphrodite-Tempel am Linzer Bauernberg durchgeführt hat. „Der Aphrodite-Tempel ist ein belasteter Ort“, sagt Schweiger. Die dort ursprünglich aufgestellte Statue der Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit sei der Stadt damals von Adolf Hitler geschenkt worden. Als ein Linzer Künstler das publik gemacht habe, sei sie in den Keller eines Museums gewandert. Allein der Tempel stehe – ohne Figur – noch am Platz.
Video: DIE ÄSTHETIK DES PLASTIKS – Kannelurenkommunikation
Untertitel: Säulenarbeit – Eine weibliche Schöpfung
Video: 4:30“, S/W, MPEG 4, 2021
Idee, Konzept, Schnitt, Ton: Birgit Schweiger
Kamera, Choreografie: Doris Jungbauer
Die Göttin in der Männerunterhose
Schweiger nutzte diesen Ort, um selbst als bewegliche Skulptur aufzutreten. Gekleidet in Männerunterwäsche, tanzte sie mit einem Schleier aus Plastikfolie: eine Anspielung auf unseren verschwenderischen Umgang mit den Ressourcen. Zugleich ein Statement in Richtung männlicher Wirtschaftsdominanz: Phallische Säulen im Hintergrund, die Hand der tanzenden Figur an der Hose. Dazu Schweiger: „Wenn ich die Ästhetik des Plastiks diesen antiken Bauwerken gegenüberstelle, tut sich natürlich die Frage auf: Wie lang wird uns welches Material überdauern?“ Eines steht fest: Keinesfalls überdauern wird uns der hölzerne Druckstock, in den Schweiger das Motiv der tanzenden Göttin in Männerhosen schnitzte. Er muss zerstört werden, um zu verhindern, dass die limitierte Edition nachgedruckt wird. Ob es sie gar nicht schmerzt, das fein bearbeitete Holz zu vernichten? „Doch. Ich tu mich schwer, es ist ja ein Objekt für sich“, gibt Schweiger zu. Doch alles ist mit allem verwoben, wie Schweiger eingangs bemerkte: Im Raum hinter ihrem Atelier lagert ein kleiner, nach Harz duftender Stapel Holz aus einem nahe gelegenen Wald. Er wartet bereits auf neue Ideen und Motive.Wussten Sie, dass...
- … Birgit Schweiger ihre Holzschnitte im sogenannten Handabrieb anfertigt? Dabei wird das Büttenpapier am Druckstock fixiert und die Farbe händisch mit einem „Handreiber“ übertragen: „Ich arbeite gerne auf diese Weise“, sagt Schweiger. „So kann ich zwischendurch kontrollieren, ob ich an einer Stelle mehr oder weniger Druck ausüben oder noch einmal „drübergehen“ muss. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht viel individueller als ein Abzug mit der Presse.“
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